Hüseyin Ince, 19.11.2019 - 06:15 Uhr
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Wird die Wahl für Sandra Gutheil ein Spaziergang an die Spitze des Grünwalder Rathauses? Wie es aussieht, könnte sie Chancen haben. Foto: Forster
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Riesen-Streit um Tennisplätze, Arroganz-Vorwürfe gegen den Bürgermeister – und eine ambitionierte Gegenkandidatin: In Grünwald könnte erstmals eine Frau die Wahl gewinnen.
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Grünwald - Hört man sich unter oppositionellen Gemeinderäten Grünwalds um, entsteht der Eindruck, dass sich der amtierende Bürgermeister Jan Neusiedl (CSU) in den 17 Jahren seiner Amtszeit recht viele politische Feinde gemacht hat.
Die etwa 11.000 Grünwalder scheint Neusiedl hingegen zu überzeugen. Er wurde stets mit bis zu 75 Prozent der Stimmen gewählt. Doch nun könnte sich das Blatt wenden. Die Chancen für eine vierte Amtszeit ab März 2020 sind vielleicht so schlecht wie nie zuvor.
Früherer Bürgermeister auch Mitglied der Parteifreien Bürger Grünwald
Das hat mehrere Gründe – politische und auch sportliche. Zusätzlich kandidiert zum ersten Mal eine Frau in dem Münchner Vorort: Sandra Gutheil (47). Sie betreibt eine Physiotherapie-Praxis in Bogenhausen. Gutheil ist Mitglied der Parteifreien Bürger Grünwald (PBG). Vor Neusiedl stellte die PBG etwa 50 Jahre lang den Bürgermeister. Und: Gutheil ist Vorsitzende des örtlichen Tennisvereins. Pikantes Detail: Neusiedl soll verhindert haben, dass dem Verein Sportplätze zur Verfügung gestellt werden – schreibt Gutheil in einer Erklärung von 2018, die bis heute online ist.
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Der Vorstand der PBG rechnet sich gute Chancen aus. "Sandra Gutheil ist offen, sozialkompetent und seit Jahren eine Ehrenamtlerin", sagt PBG-Chef Dietmar Jobst, einst selbst Bürgermeisterkandidat. Gutheil war bislang zwar nicht einmal Gemeinderätin. Doch seit zwei Jahren nimmt sie regelmäßig an öffentlichen Sitzungen teil und bildet sich fort, um den politischen Ablauf bestens zu kennen, falls sie das Grünwalder Rathaus erobern sollte.
Die PBG ist seit 70 Jahren eine konservativ-liberale Vereinigung und bestens bekannt. Noch direkt vor Neusiedl war der Bürgermeister einer von der PBG: Bis heute ist Hubertus Lindner (1984 bis 2002 im Amt) vielen Grünwaldern in bester Erinnerung geblieben.
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Sandra Gutheil ist Vorsitzende der Tennisfreunde Grünwald
Der sportliche Aspekt ist in dem ganzen Zusammenhang nicht zu unterschätzen. Der erste Grünwalder Tennisverein "Tennisfreunde Grünwald" wurde vor etwa drei Jahren gegründet. Auch Gutheils Kinder spielen dort. Ihre Bürgermeister-Kandidatur hat auch mit ihrer dortigen Vorstandschaft zu tun, auch wenn sie das leugnet. Eine Trotzreaktion?
"Der Konflikt ist Vergangenheit", beschwichtigt Gutheil. Sie bereitet sich auf den Wahlkampf vor und will "positiv nach vorne blicken", wie sie sagt. Sie will sich offenbar nicht gezielt gegen Neusiedl stellen und auf Sachthemen konzentrieren. Für Radfahrer und Fußgänger möchte sie sich engagieren, sagt sie und die Bürger bei wichtigen Entscheidungen besser einbinden. Was sie damit meint: besser als Neusiedl.
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Bürgermeister Neusiedl setzte sich nicht für Tennisplätze ein
In Gutheils Erklärung von 2018 hallt noch die Wut nach, keine Tennisplätze bekommen zu haben. Darin heißt es wörtlich: "Ohne jede Not wurde die gemeindeeigene Tennisanlage für weitere 12 (!) Jahre an das private Unternehmen Elter Sports verpachtet. Beschlossen wurde das auf Initiative des 1. Bürgermeisters Neusiedl ... mit den Stimmen der CSU-Mehrheitsfraktion...". 15 von 25 Gemeinderatsstimmen gehören derzeit der CSU. Die Partei kann über derartige Sachthemen nahezu beliebig entscheiden.
Die Tennisfreunde müssen seither mühsam andere Clubs im Umland ausfindig machen, wo sie die Plätze nutzen dürfen, was stets lange Fahrten mit sich bringt. Das könnte Neusiedl viele Stimmen kosten. Rund um den Verein engagieren sich etwa 1.000 Grünwalder – bei 11.000 Grünwaldern eine erhebliche Menge an potenziellen Wählerstimmen.
"Ja sollen’s doch in Oberhaching spielen", soll es mal recht arrogant aus der CSU-Gemeinderatsfraktion geschallt haben. So erzählt es Gemeinderat Michael Ritz (59), Vorsitzender der FDP Grünwald. Er kandidiert 2020 ebenfalls als Bürgermeister. Seine Wut auf Neusiedl ist sehr deutlich hörbar. Er unterstellt ihm "Cäsaren-Wahn" und "große Abgehobenheit". Ritz erklärt das auch damit, dass Neusiedl nicht mal eine Bürgersprechstunde anbiete. "Völlig realitätsfremd", sagt Ritz, "sogar Dieter Reiter hat eine Bürgersprechstunde."
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Jan Neusiedl telefonisch schlecht erreichbar
Fast wirkt es so, als ob Ritz Neusiedl kaum erträgt: "Wir sind im Jahr 2019 und unser Bürgermeister hat kein Smartphone, ist grundsätzlich schlecht erreichbar und reagiert auf Anfragen häufig nicht. So weit ich weiß, lässt er sich die E-Mails von Mitarbeitern im Vorzimmer ausdrucken. Stellen Sie sich mal die Ökobilanz vor!"
Auch PBG-Chef Jobst kann eine Geschichte zu Neusiedl erzählen: "Wir hatten eine attraktivere Fußgängerzone rund um den Luitpoldweg gefordert. Jetzt sieht es dort aus wie in der Josef-Stalin-Allee, ähnlich geschmacklos wie in der Sendlinger Straße." Das alles habe die CSU an der Opposition und an den Bürgern vorbei entschieden.
Die AZ hätte gerne Bürgermeister Jan Neusiedl zu all den Themen gesprochen. Aber trotz mehrerer Versuche war er telefonisch über Wochen nicht erreichbar. Einen festen Gesprächstermin zu vereinbaren, war nicht möglich.
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